Der hier anzuzeigende Text ist die ursprüngliche Fassung meines
Buchbeitrags zu Iman Attias (Hg.) sehr verdienstvollem Sammelband "Orientalismus und antimuslimischer Rassismus in
Deutschland" (Münster 2007, Arbeitstitel), der rund 20 "interdisziplinäre Beiträge zu einem zeitgenössischen
Phänomen mit langer Tradition" versammelt, die zwar von ausgewiesenen Fachleuten stammen, sich
insgesamt jedoch nicht an ein Fachpublikum, sondern an eine breite interessierte Öffentlichkeit
richten. Der Sammelband konzentriert sich auf den deutschen Beitrag zum
Orientalismus mit seiner antiislamischen Schlagseite und reagiert direkt auf die
zunehmende Wahrnehmung von Diskriminierung und Verteufelung "der
Moslems" in Europa, die sich als unabweisbare Tatsachen in die dominanten
Zerrbilder weißer Leitkultur einmischen, in deren Diskursen Muslime als
politische Terroristen, antisemitische Kriegstreiber, patriarchale Mörder oder
sexistische Gewalttäter gehandelt werden. Er interveniert somit in von
erhöhter Nachfrage einerseits und verschärfter Ausgrenzung andererseits
geprägte diskursive und handfeste Auseinandersetzungen als ein Stück
Aufklärung im klassischen Sinn, als dem Anspruch nach über pure Kompetenz
hinaus praxiskompatibel
lesbare Einstiegslektüre zum Thema "Orientalismus". Der übermächtigen Definitions- und Desinformationsmacht
weißer Herrschaftsideologie und ihrem unhinterfragten chauvinistischen Konsens
soll ein ruhestörender intellektueller Einspruch entgegengesetzt werden, der populäre leitkulturelle
Scheinwahrheiten in ihrer Willkürlichkeit, Gewaltsamkeit, Interessegeleitetheit und
Konstruiertheit sichtbar macht - und so auch einem diffusen Widerstandsreflex
Grundlagenwissen und Argumente für's Leben, Denken und Wirken im alltäglichen
Rassismus an die Hand geben kann. Aus der gesamten Anlage des Buches folgt
freilich auch, dass mein ursprünglicher Text in inhaltlichem Umfang, der schieren
Länge, den Spezial- und Fachdiskussionen sowie einzelnen argumentativen
Verästelungen beschnitten werden musste. Als wissenschaftliche Diskussions- bzw.
Zitationsgrundlage ist die ungekürzte Originalfassung vorzuziehen, die aus
verlagsrechtlichen Gründen hier nicht einfach veröffentlicht werden kann. Für
den akademischen Gebrauch besteht aber über einen Klick
hier die Möglichkeit, individuell Kontakt zwecks Anforderung der ausführlichen
Version aufzunehmen. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis ist über diesen Klick
möglich. Und eine erste Korrektur sei
an dieser Stelle auch schon angebracht: Durch einen Fehler bei der Drucklegung
ist im Buch nämlich der Literaturverweis ausgerechnet zum einleitenden ersten
Zitat (von William Jones) gelöscht worden. Vollständig muss der entsprechende
Textteil folgendermaßen lauten:
Orientalismus macht Geschichte: Zum Beispiel die Entstehung des Orientaldespoten im Deutschland der Spätaufklärung aus dem Geiste europäischer Expansion in Indien
Jürgen Krämer
Orientalismus im modernen Sinn, wie er etwa von Edward Said als herrschaftsseitiger Diskurs westlicher Orient-Imaginationen beschrieben wurde, ist nicht einfach bloß ein Pool verfremdender Bilder, die sich abendländische Kulturschaffende ›immer schon‹ vom Orient gemacht haben. Er erschöpft sich auch noch nicht in seiner abgrenzenden und selbstverständigenden Funktionalität, sondern ist konstitutiv verbunden mit einem Machtgefälle, wie es selten anschaulicher zum sprachlichen Ausdruck gekommen ist als im Diktum William Jones', seines geistigen Vaters und 1784 in Calcutta Gründer der richtungsweisenden
Asiatick Society of Bengal, der mit Blick auf die angemessene Sicht- und Regierungsweise Britisch-Indiens "Europa als die souveräne Fürstin und Asien als ihre Dienstmagd" bezeichnete. "Aber", so heißt es weiter, "sei die Herrin auch von alles übersteigender Majestät, so kann doch nicht geleugnet werden, dass die Dienerin viele Schönheiten und einige ihr selbst eigene Vorzüge aufweist".
[Jones, William (1807 [orig. 1799]): ›Second Anniversary Discourse (1784)‹. In: The Works III. London, S. 12, eigene Übersetzung.]
Zur Konzeption des Sammelbandes noch die Herausgeberin im Wortlaut:
"Gesellschaftliche, politische und militärische Sanktionen ihnen gegenüber wurden (und werden noch) als Maßnahmen zur Verteidigung demokratischer und zivilisatorischer Errungenschaften eingeordnet. Verächtliche Äußerungen über Lebensweisen von Muslimen dienen der Selbstbestätigung als fortschrittlich und emanzipiert. Stimmen von Muslimen, die den Klischees widersprechen, werden gemeinhin als Ausnahmen ausgeklammert, Betroffene, die diese Bilder und Wertungen bestätigen, werden dagegen dankbar aufgegriffen. Und nun sollen Muslime (laut
Europäischer Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit EUMC) die neuen Opfer von Diskriminierung sein?
In akademischen Kreisen überraschen diese Meldungen nicht. Seit dem zweiten Golfkrieg Anfang der 80er Jahre warnen WissenschaftlerInnen vor der zunehmenden Diskriminierung von Muslimen und zeigen Konstruktionsprozesse und Bedeutungszusammenhänge des "Feindbildes Islam" auf. Ihre Arbeiten erscheinen von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt als Forschungsnotizen in kleinen Fachzeitschriften oder als Dissertationen in unbekannten Verlagen, während selbsternannte "Experten" weiterhin in Massenmedien zur Aufheizung des Klimas beitragen. Spätestens mit den kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre zwischen den USA (und Europa) gegen islamistische Terroristen (und Zivilbevölkerung) geraten allerdings zunehmend kritische und mahnende Stimmen an die interessierte Öffentlichkeit. In erster Linie decken sie Ungereimtheiten und wenig zivilisierte Methoden der westlichen Kriegsparteien auf. Zuweilen werden politische (v.a. ökonomische und machtgesteuerte) Argumente als Gründe für den Kampf gegen "den Islam" kritisch diskutiert. Darüber hinaus bemühen sich seit einiger Zeit verschiedene gesellschaftliche Akteure, vorurteilsgeladene Wertungen des Islam durch sachliche Informationen und interreligiöse Dialoge zu ersetzen. Sie werden jedoch nicht mit dem historisch gewachsenen und kulturell verankerten Bild über den Islam verknüpft, das diese Vorurteile hervorbringt. Häufig stehen deswegen die neuen Informationen unvermittelt neben den tradierten und können deren Wirkungsmacht nicht wesentlich schmälern. Ergebnisse aus der Rassismusforschung belegen, dass es wenig nützt, Vorurteile korrigieren zu wollen, solange die Interessen an ihrer Entstehung und Aufrechterhaltung nicht kritisch reflektiert werden. Im antimuslimischen Kontext geschieht dies bisher lediglich in hoch spezialisierten Kreisen, eine breite Auseinandersetzung mit westlichen Bildern über den Islam und ihre Verstrickung in politische, kulturelle, gesellschaftliche, religiöse und soziale Diskurse steht noch weitgehend aus.
Diese Lücke schließt der geplante Sammelband. Ergebnisse wissenschaftlicher Auseinandersetzungen verschiedener Disziplinen der letzten 20 Jahren werden einem breiten Publikum zugänglich gemacht. In allgemein verständlicher Form werden die historisch gewachsenen Bilder über "den Islam" (der zuweilen eher als "Orient" bezeichnet wurde) am Beispiel bekannter kultureller Zeugnisse analysiert. Dabei werden sowohl die historisch relevanten Kontexte als auch die aktuellen Bezüge herausgearbeitet. Neben der ethnisierenden Konstruktion eines Gegenbildes Orient bzw. Islam werden kritische und konstruktive Traditionslinien und neuere Bemühungen thematisiert."
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