Edmund Burke, die Französische Revolution und die Transformation des Whig-Liberalismus in den modernen bürgerlichen Konservatismus  
Jürgen Krämer / Hagen 1997 /
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          Edmund Burke gilt als Stammvater des modernen Konservatismus, sein Werk Reflections on the Revolution in France, and on the Proceeding in Certain Societies in London Relative to that Event (1790) als dessen Geburtsurkunde. Passenderweise wird Tom Paines Rights of Man (1791/92) dem als eigentliches »Manifest der britischen Arbeiterbewegung«1 gegenübergestellt. Damit sind die Anti­poden der heftigen inneren Kämpfe im Großbritannien zur Zeit der Französischen Revolution zwar unter politisch-literarischem Aspekt genannt, zum Verständnis der Geschichte und ihrer -bis heute wirkungsmächtigen- Bedeutung trägt dies aber wenig bei, auch wenn die Feststellung der Niederlage der Radikalen addiert wird. Vielmehr erscheint es nötig, über das Schauspiel des Ringens zweier politischer Ideen hinaus die historischen Voraussetzungen, die materiellen Bedingungen und den größeren Zusammenhang mit in den Blick zu nehmen, um einen konkreten Begriff von der Bedeutung des Burkeschen Beitrags in den innenpolitischen Auseinandersetzungen Englands und -zeitlich wie räumlich- weit darüber hinaus zu gewinnen. Die vorliegende Arbeit schlägt vor, Burkes eigentliche Leistung weniger in der gleichsam literarischen Formulierung einer zur revolutionären Herausforderung alternativen Herrschaftsphilosophie zu sehen, als vielmehr in der politischen Orientierung des (Whig-)Liberalismus auf einen modernen bürgerlichen Konservatismus, dessen integrative Potenz ihm eine in vieler Hinsicht erstaunliche soziale und kulturelle Hegemonie erobern sollte. 
         Daher gilt die Aufmerksamkeit zunächst Burkes Wirken als Ganzem mehr denn seinem bloß literarischen Werk oder gar nur den berühmten Reflections. Aus diesem politischen Kontext heraus kann erst die Substanz dessen gewonnen werden, was Burkes moderner Konservatismus politisch, strategisch und etwa philosophisch beinhaltet. In einem dritten Schritt wird es darauf ankommen, Burke politisch und philosophisch in seiner Zeit zu verorten, d.h als Whig, allgemein als Politiker, aber auch als Person des öffentlichen Lebens sowie im Kräftefeld philosophischer Herausforderungen mit Akteuren wie Paine, Srnith oder Bentham. Von dort aus eröffnet sich der Blick auf die Niederungen der realen sozialen Kämpfe und die Wirkungen insbesondere der Reflections hierin, die die unterschiedlichen Feinde der Anhänger der Revolutionsideen auch praktisch munitionierte, im weiteren Verlauf sogar einen Vernichtungskrieg gegen das revolutionäre Frankreich propagierend. Dann erst wird eine umfassende Würdigung der Leistung Burkes möglich, die als tiefere Bedeutung die politische ­und soziale Hegemoniefähigkeit seiner spezifischen Herrschaftslegitimation und -technik herausschält. In einem letzten Schritt kommen wir so zu einem erweiterten Konservatismusbegriff, dem ein derart erheblicher Selbstmodernisierungsmechanismus innewohnt, dass ein hoffentlich über den gängigen `Stammvater´-Horizont hinausweisender Ausblick erzielt werden kann. 
         Es versteht sich, dass ein solcher weitgespannter Ansatz insgesamt stärker auf bereits geleisteter Forschungsarbeit zu Burke und deren kritischer Durchsicht beruht, als auf einer vollständigen Neubearbeitung der Prirnärtexte, was sich auch am Literaturverzeichnis ablesen lässt. Andererseits soll auch der Boden der historischen Tatsachen nicht im naheliegenden Nebel gelehrter Spekulation verlorengehen, der die politische Ideengeschichte dichter umgibt als andere Bereiche geschichtlicher Forschung. Die Meta-Ebene der Methodendiskussion, die sich gerade zum Thema breit eröffnet, wird demnach zwar unvermeidlich immer mitreflektiert, aber nicht eigentlich betreten. 

                                                                                    I. 
         Burkes Werk und Wirken erstreckt sich über die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in einem Land, das während des 7jährigen Krieges als Weltmacht sich etablieren konnte, im Innern aber mit den Umbrüchen und Folgen jener wirtschaftlichen und politischen Dynamiken zu kämpfen hatte, die diesen Aufstieg ermöglichten. Die Selbstregierung Georgs III seit 1760/62 markiert sichtbar eine veritable Krise des politischen Systems, das aus der Sicht der nun von der Macht verdrängten Whigs Garant innerer Stabilität, blühenden Handels und außenpolitischer Dominanz gewesen ist. Die neue Rolle steIlte die Whigs vor neue Aufgaben, mit deren Lösung von Anfang an auch Burke befasst war. 
         Dieser kam 1750 von Dublin nach London, wo er »nach einer mäßig erfolgreichen literarischen Karriere [...] 1759 in die Dienste von Lord Rockingham«2 trat. Wenngleich nicht Wohlstand, so hatte sich Burke während seiner literarisch-journalistischen Anfänge immerhin einige Bekanntheit erworben durch seine Philosophical Enquiry into the Origin of the Sublime and Beautiful (1757), im weiteren kurz Ästhetik. Seit 1765 mit einem Parlamentssitz versorgt, profilierte sich der Rockingham-­Schützling zunehmend als Whig-Politiker, als Redner wie als Publizist. Seine Thoughts on the Cause of the Present Discontent (1770) wiesen ihn bereits als »oracle and interpreter of Whiggism«3 aus, der ein verbindliches Bewusstwerden der Whigs als Partei der Mixed Constitution und der Commons gegen den royalistischen Rollback forderte. Seit 1771 Londoner Agent der Kolonie New York, vertrat Burke im Konflikt der Besteuerung Amerikas 1774/75 gegen König, Regierung und Mainstream4 in zwei mehrstündigen Parlamentsreden eine konziliante Linie, die die -zwar unterlegenen- Whigs auch in der politischen Praxis als vorförmige Opposition auszeichneten. Die Parlamentsreform-Forderungen der 70er und das Hastings-lmpeachment der 80er Jahre allerdings zeigten bereits die Sollbruchstellen innerhalb der Whig-Opposition an, die sich mit Burkes Reflections 1790 als politische Philosophie manifestierten: Keine Erweiterungen der bewährten Mixed Constitution, eine förmliche Bestrafung der hemmungslosen Privatbereicherungspolitik korrupter EIC-Nabobs in Indien, die unbedingte Zurückweisung aller Ideen der Französischen Revolution; Burkes New Whigs fanden dann einen Weg zurück zur Regierungsbeteiligung, während die Old Whigs genanne Minderheit um Fox umso konsequenter Opposition betrieb und zum parlamentarischen Reflex der Radikalen wurde. Von den Thoughts on French Affairs (1791) bis zu den Letters gegen Peace with a Regicide Directory (1796) blieb Burkes letzte Wirkungsphase dagegen von einem
»hysterischen Antijakobinismus«5 geprägt, der massive Repression nach innen ebenso einschloss wie die Kriegführung gegen Frankreich bis zur völligen Vernichtung des Jakobinismus6. Aus dieser ersten Annäherung an Burkes Werk ergeben sich bereits als Schwerpunkte seines Wirkens: ein dem klassischen Whig-Liberalismus verpflichteter Drang zur Rekonsolidierung der depravierten Whigs als politische Macht, ein dem Erhalt des englischen Systems verpflichteter pragmatischer Umgang mit den brisanten Fragen der Zeit, das einer tiefen konservativen Moral verpflichtete obsessive Engagement gegen Nabobs und Jakobiner. Die genannten Punkte bedürfen nun freilich einer inhaltlichen Vertiefung. 
         Zunächst mag es befremden, Burke als bruchlos dem klassischen Whig-Liberalismus verpflichtet einzuführen, der doch aufs Engste mit Glorious Revolution und John Locke verbunden wird. Den Blick von Ereignissen (wie der Revolution als solcher) und Ideen (wie etwa dem Widerstandsrecht) abziehend und auf die Ende des 17. Jahrhunderts fundierten Strukturen richtend, zeigt sich als Essenz des klassischen Whig-Liberalismus ein politisches System, das -ausbalanciert mit der Monarchie- von Vertretern der sozialen Elite, nämlich der großgrundbesitzenden und wirtschaftsaktiven Aristokratie, reguliert wird. Im durch die konstitutionelle Beschneidung der königlichen Prärogative gewonnenen Freiraum konnte sich so das Patronage-System der Whig-Grandees entfalten, das gegenüber staatlicher Willkür
»in representing their own property interests, guaranteed everyone else’s«7 Es garantierte aber ebenso eine aus parlamentarischer Verständigung innerhalb der sozialen Elite erwachsende politische Stabilität. Dass auch die breite Masse in den relativen Genuss des gesetzlichen Schutzes von Personn, Eigentum, Wohnung u. dgl. vor staatlicher, d.h. absolutistischer Willkür kam, zwar kein Stimmrecht, aber doch das Recht hatte, »auf den Wahlversammlungen zu jubeln oder zu spotten, ebenso die Freiheit zu reisen, Handel zu treiben und seine Arbeitskraft zu verkaufen«, ist im europäischen Vergleich bemerkenswert8, kann aus der Sicht auch der Whigs der 1760er jedoch als durchaus nebensächlich gelten. Als fundamentale Zäsur musste dagegen die prärogative Offensive Georgs III aufgefasst werden, der -innerhalb der konstitutionellen Grenzen- zur weitgehenden Selbstregierung ohne die sich als Garanten einer liberalen Staatsordnung etabliert wähnenden Whigs schritt.  
         Ein so verstandener Liberalismus9 mit dem entsprechend traditionalistischen Zugang zu 1688 und Locke fundierte ebenso Burkes Wirken. Dass die Reflections Lockes Namen nicht einmal erwähnen und überdies als gegen dessen Naturrechtslehre gerichtet interpretiert werden, sollte den Blick auf diesen Nexus nicht eintrüben: Schon Burkes Ästhetik ist deutlich »lockean«, indem Sie dessen erkenntnistheoretischen Empirisrnus auf die ästhetischen Grunderlebnisse ausweitet und etwa den Schauer des Erhabenen oder die Wonne des Schönen rein physiologisch mit der An- bzw. Entspannung bestimmter Fasern erklärt Auch den Discontents unterliegen unverkennbar Lockesche Prinzipien (d.h. von ihm staatsphilosophisch begründete Whig-Essentials), nämlich die von Mixed Constitution und Government By Consent, was de politische Macht jenen sozio-ökonomischen Stützen des Staates überantwortet, deren Gewerbefleiß dessen Wohlfahrt erst begründet. Die (natur-)rechtliche Seite dieses Verhältnisses manifestere sich im individuellen Schutz der Person und des Eigentums vor absolutistischer Willkür, gegen die die Whigs l00 Jahre zuvor schon zäh gerungen und immerhin 1679 den Habeas Corpus Act erreicht hatten, gegen die um 1680 auch Locke seine Treatises verfasst hatte10. Die dann in der Glorious Revolution gegen Tories und Krone durchgesetzte Neuordnung der politischen Gewichte zur seither bewährten Trinität King-Lords-Comrnons erschien den abgedrängten Whigs durch Georgs III Kurs insgesamt gefährdet, zumindest brachte das Burke so zum Ausdruck. Demnach war die `Whig-Order´, i. Ggs zur toristischen `Divine Right Order´
»in fact far from traditional. lts pillars were the Revolution Settlement, the Toleration Act, the Bank of England, and the Septannial Act.«11 Diesen Horizont mitreflektiert, wird Burkes Verpflichtung auf den klassischen Whig-Liberalismus ersichtlich, wenn er argumentiert: 
Since the revolution until the period we are speaking of, the influence of the crown had been always employed in supporting the ministers of state, and in carrying on the public business according to their opinion. But the party now in question is formed upon a very different idea […]intended as the control, not the support of administration […]that the king is something external to his government; and that he may be honoured and aggrandized, even by its debility and disgrace. The plan proceeds expressly on the idea of enfeebling the regular executory power […]weakening the state in order to strengthen the court./ 
The name by which they choose to distinguish themselves, is that of king’s men or the king’s friends, by an individious exclusion of the rest of his Majesty’s most loyal and affectionate subjects./ 
The people of a free commonwealth, who have been taken such care that their laws should be the result of general consent, cannot be so senseless as to suffer their executory system to be composed of persons on whom they have no dependance./ 
To keep that situation of guilt and remorse at the utmost distance is, therefore, our first obligation. Early activity may prevent late and fruitless violence […]The scheme of the enemies of public tranquillity has disarranged, it has not destroyed us./12 

         Es erhellt hieraus aber auch, dass der Rekurs auf die Glorious Revolution und Lockes Legitimationsideologie um 1770 selbst  beim »oracle and interpreter of whiggery« politisch-funktionaler Art und eher implizit war - noch nicht aus seinem radikalen Potential (Naturrecht, Widerstandsrecht) heraus explizit etwa revolutionär zugespitzt. Locke war »meist nur im Rahmen des Whig-Kanons als selbstverständliche Autorität präsent, »ohne daß man sich deswegen besonders intensiv mit seinem Werk auseinandergesetzt hätte
.«13 Es leuchtet ein, dass auch Burkes Gegenstrategie auf der Ebene praktischer Politik angesiedelt war: »Where bad men combine, the good must associate, else they will fall, one by one, an unpitied sacrifice in a contemptible struggle«14 und mit ihnen die liberale Ordnung der Whig-Revolution. Der kriminellen Kabale »for undermining all the foundations of our freedorn» gegenüber bedarf es einer standhaften »honest combination« unter der Whig-Parole »of restoring the constitution to its original principles.«15 Der Erhalt des englischen Systems und der Weg seiner Garanten, der Whigs, zurück an die Macht, können somit in eins gesetzt werden.


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