Edmund Burke gilt als Stammvater des modernen Konservatismus, sein Werk
Reflections on the Revolution in France, and on the Proceeding
in Certain Societies in London Relative to that Event (1790) als dessen Geburtsurkunde. Passenderweise wird Tom Paines
Rights of Man
(1791/92) dem als eigentliches »Manifest der britischen Arbeiterbewegung«1 gegenübergestellt.
Damit sind die Antipoden der heftigen inneren
Kämpfe im Großbritannien zur Zeit der Französischen Revolution zwar unter politisch-literarischem Aspekt genannt, zum Verständnis der
Geschichte und ihrer -bis heute wirkungsmächtigen- Bedeutung trägt dies aber wenig bei, auch wenn die Feststellung der Niederlage der
Radikalen addiert wird. Vielmehr erscheint es nötig, über das Schauspiel des Ringens zweier politischer Ideen hinaus die historischen
Voraussetzungen, die materiellen Bedingungen und den größeren Zusammenhang mit in den Blick zu nehmen, um einen konkreten Begriff von
der Bedeutung des Burkeschen Beitrags in den innenpolitischen Auseinandersetzungen Englands und -zeitlich wie räumlich- weit darüber
hinaus zu gewinnen. Die vorliegende Arbeit schlägt vor, Burkes eigentliche Leistung weniger in der gleichsam literarischen
Formulierung einer
zur revolutionären Herausforderung alternativen Herrschaftsphilosophie zu sehen, als vielmehr in der politischen Orientierung des
(Whig-)Liberalismus auf einen modernen bürgerlichen Konservatismus, dessen integrative Potenz ihm eine in vieler Hinsicht erstaunliche soziale
und kulturelle Hegemonie erobern sollte.
Daher gilt die Aufmerksamkeit zunächst Burkes Wirken als Ganzem mehr denn seinem bloß literarischen Werk oder gar
nur den berühmten Reflections. Aus diesem politischen Kontext heraus kann erst die Substanz dessen gewonnen werden, was Burkes moderner
Konservatismus politisch, strategisch und etwa philosophisch beinhaltet. In einem dritten Schritt wird es darauf ankommen, Burke politisch und
philosophisch in seiner Zeit zu verorten, d.h als Whig, allgemein als Politiker, aber auch als Person des öffentlichen Lebens sowie im Kräftefeld
philosophischer Herausforderungen mit Akteuren wie Paine, Srnith oder Bentham. Von dort aus eröffnet sich der Blick auf die Niederungen der
realen sozialen Kämpfe und die Wirkungen insbesondere der Reflections hierin, die die
unterschiedlichen Feinde der Anhänger der
Revolutionsideen auch praktisch munitionierte, im weiteren Verlauf sogar einen
Vernichtungskrieg gegen das revolutionäre Frankreich propagierend. Dann erst wird eine umfassende Würdigung der Leistung Burkes möglich, die als tiefere Bedeutung
die politische und soziale Hegemoniefähigkeit seiner spezifischen Herrschaftslegitimation und -technik herausschält. In einem letzten Schritt kommen wir so zu einem
erweiterten Konservatismusbegriff, dem ein derart erheblicher Selbstmodernisierungsmechanismus innewohnt,
dass ein hoffentlich über den
gängigen `Stammvater´-Horizont hinausweisender Ausblick erzielt werden kann.
Es versteht sich, dass ein solcher weitgespannter Ansatz insgesamt stärker auf bereits geleisteter Forschungsarbeit
zu Burke und deren kritischer Durchsicht beruht, als auf einer vollständigen Neubearbeitung der Prirnärtexte, was sich auch am Literaturverzeichnis ablesen
lässt. Andererseits soll auch der Boden der historischen Tatsachen nicht im naheliegenden Nebel gelehrter Spekulation verlorengehen, der die
politische Ideengeschichte dichter umgibt als andere Bereiche geschichtlicher Forschung. Die Meta-Ebene der Methodendiskussion, die sich
gerade zum Thema breit eröffnet, wird demnach zwar unvermeidlich immer mitreflektiert, aber nicht eigentlich betreten.
I.
Burkes Werk und Wirken erstreckt sich über die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in einem Land, das während des
7jährigen Krieges als Weltmacht sich etablieren konnte, im Innern aber mit den Umbrüchen und Folgen jener wirtschaftlichen und politischen Dynamiken zu
kämpfen hatte, die diesen Aufstieg ermöglichten. Die Selbstregierung Georgs III seit 1760/62 markiert sichtbar eine veritable Krise des
politischen Systems, das aus der Sicht der nun von der Macht verdrängten Whigs Garant innerer Stabilität, blühenden Handels und
außenpolitischer Dominanz gewesen ist. Die neue Rolle steIlte die Whigs vor neue Aufgaben, mit deren Lösung von Anfang an auch Burke
befasst war.
Dieser kam 1750 von Dublin nach London, wo er
»nach einer mäßig erfolgreichen literarischen Karriere [...] 1759
in die Dienste von Lord Rockingham«2 trat. Wenngleich nicht Wohlstand, so hatte sich Burke während seiner literarisch-journalistischen Anfänge immerhin
einige Bekanntheit erworben durch seine Philosophical Enquiry into the Origin of the Sublime and Beautiful (1757), im weiteren kurz
Ästhetik. Seit
1765 mit einem Parlamentssitz versorgt, profilierte sich der Rockingham-Schützling zunehmend als Whig-Politiker, als Redner wie als Publizist.
Seine Thoughts on the Cause of the Present Discontent (1770) wiesen ihn bereits als
»oracle and interpreter of Whiggism«3 aus, der ein
verbindliches Bewusstwerden der Whigs als Partei der Mixed Constitution und der Commons gegen den royalistischen Rollback forderte. Seit
1771 Londoner Agent der Kolonie New York, vertrat Burke im Konflikt der Besteuerung Amerikas 1774/75 gegen König, Regierung und
Mainstream4 in zwei mehrstündigen Parlamentsreden eine konziliante Linie, die die -zwar unterlegenen- Whigs auch in der
politischen Praxis als
vorförmige Opposition auszeichneten. Die Parlamentsreform-Forderungen der 70er und das Hastings-lmpeachment der 80er Jahre allerdings
zeigten bereits die Sollbruchstellen innerhalb der Whig-Opposition an, die sich mit Burkes
Reflections 1790 als politische Philosophie
manifestierten: Keine Erweiterungen der bewährten Mixed Constitution, eine förmliche Bestrafung der hemmungslosen
Privatbereicherungspolitik korrupter EIC-Nabobs in Indien, die unbedingte
Zurückweisung aller Ideen der Französischen Revolution; Burkes
New Whigs fanden dann einen Weg zurück zur Regierungsbeteiligung, während die Old Whigs genanne Minderheit um Fox umso konsequenter
Opposition betrieb und zum parlamentarischen Reflex der Radikalen wurde. Von den Thoughts on French Affairs (1791) bis zu den Letters gegen
Peace with a Regicide Directory (1796) blieb Burkes letzte Wirkungsphase dagegen von einem
»hysterischen
Antijakobinismus«5 geprägt, der
massive Repression nach innen ebenso einschloss wie die Kriegführung gegen Frankreich bis zur völligen Vernichtung des Jakobinismus6. Aus
dieser ersten Annäherung an Burkes Werk ergeben sich bereits als Schwerpunkte seines Wirkens: ein dem klassischen Whig-Liberalismus
verpflichteter Drang zur Rekonsolidierung der depravierten Whigs als politische Macht, ein dem Erhalt des englischen
Systems verpflichteter
pragmatischer Umgang mit den brisanten Fragen der Zeit, das einer tiefen
konservativen Moral verpflichtete obsessive Engagement gegen
Nabobs und Jakobiner. Die genannten Punkte bedürfen nun freilich einer inhaltlichen Vertiefung.
Zunächst mag es befremden, Burke als bruchlos dem klassischen Whig-Liberalismus verpflichtet einzuführen, der doch
aufs Engste mit Glorious Revolution und John Locke verbunden wird. Den Blick von Ereignissen (wie der Revolution als solcher) und Ideen (wie etwa dem
Widerstandsrecht) abziehend und auf die Ende des 17. Jahrhunderts fundierten Strukturen richtend, zeigt sich als Essenz des klassischen
Whig-Liberalismus ein politisches System, das -ausbalanciert mit der Monarchie- von Vertretern der sozialen Elite, nämlich der
großgrundbesitzenden und wirtschaftsaktiven Aristokratie, reguliert wird. Im durch die konstitutionelle Beschneidung der königlichen
Prärogative gewonnenen Freiraum konnte sich so das Patronage-System der Whig-Grandees entfalten, das gegenüber staatlicher Willkür
»in
representing their own property interests, guaranteed everyone else’s«7 Es garantierte aber ebenso eine aus parlamentarischer Verständigung
innerhalb der sozialen Elite erwachsende politische Stabilität. Dass auch die breite Masse in den relativen
Genuss des gesetzlichen Schutzes von
Personn, Eigentum, Wohnung u. dgl. vor staatlicher, d.h. absolutistischer Willkür kam, zwar kein Stimmrecht, aber doch das Recht hatte,
»auf
den Wahlversammlungen zu jubeln oder zu spotten, ebenso die Freiheit zu reisen, Handel zu treiben und seine Arbeitskraft zu
verkaufen«, ist im
europäischen Vergleich bemerkenswert8, kann aus der Sicht auch der Whigs der 1760er jedoch als durchaus nebensächlich gelten. Als
fundamentale Zäsur musste dagegen die prärogative Offensive Georgs III aufgefasst werden, der -innerhalb der konstitutionellen Grenzen- zur
weitgehenden Selbstregierung ohne die sich als Garanten einer liberalen Staatsordnung etabliert wähnenden Whigs schritt.
Ein so verstandener
Liberalismus9 mit dem entsprechend traditionalistischen Zugang zu 1688 und Locke fundierte ebenso Burkes Wirken.
Dass
die Reflections Lockes Namen nicht einmal erwähnen und überdies als gegen dessen Naturrechtslehre gerichtet
interpretiert werden, sollte den
Blick auf diesen Nexus nicht eintrüben: Schon Burkes Ästhetik ist deutlich
»lockean«, indem Sie dessen erkenntnistheoretischen Empirisrnus
auf die ästhetischen Grunderlebnisse ausweitet und etwa den Schauer des Erhabenen oder die Wonne des Schönen rein physiologisch mit der
An- bzw. Entspannung bestimmter Fasern erklärt Auch den Discontents unterliegen unverkennbar Lockesche Prinzipien (d.h. von ihm
staatsphilosophisch begründete Whig-Essentials), nämlich die von Mixed Constitution und
Government By Consent, was de politische Macht
jenen sozio-ökonomischen Stützen des Staates überantwortet, deren Gewerbefleiß dessen Wohlfahrt erst begründet. Die (natur-)rechtliche Seite
dieses Verhältnisses manifestere sich im individuellen Schutz der Person und des Eigentums vor absolutistischer Willkür,
gegen die die Whigs
l00 Jahre zuvor schon zäh gerungen und immerhin 1679 den Habeas Corpus Act erreicht hatten, gegen die um 1680 auch Locke seine
Treatises
verfasst hatte10. Die dann in der Glorious Revolution gegen Tories und Krone
durchgesetzte Neuordnung der politischen Gewichte zur seither
bewährten Trinität King-Lords-Comrnons erschien den abgedrängten Whigs durch Georgs III Kurs insgesamt gefährdet, zumindest brachte das
Burke so zum Ausdruck. Demnach war die `Whig-Order´, i. Ggs zur toristischen `Divine Right Order´
»in fact far from traditional. lts pillars were
the Revolution Settlement, the Toleration Act, the Bank of England, and the Septannial
Act.«11 Diesen Horizont
mitreflektiert, wird Burkes
Verpflichtung auf den klassischen Whig-Liberalismus ersichtlich, wenn er argumentiert:
Since the revolution until the period we are speaking of, the influence of the crown had been always employed in supporting the ministers of
state, and in carrying on the public business according to their opinion. But the party now in question is formed upon a very different idea
[…]intended as the control, not the support of administration […]that the king is something external to his government; and that he may be
honoured and aggrandized, even by its debility and disgrace. The plan proceeds expressly on the idea of enfeebling the regular executory power
[…]weakening the state in order to strengthen the court./
The name by which they choose to distinguish themselves, is that of king’s men or the king’s friends, by an individious exclusion of the rest of
his Majesty’s most loyal and affectionate subjects./
The people of a free commonwealth, who have been taken such care that their laws should be the result of general consent, cannot be so
senseless as to suffer their executory system to be composed of persons on whom they have no dependance./
To keep that situation of guilt and remorse at the utmost distance is, therefore, our first obligation. Early activity may prevent late and fruitless
violence […]The scheme of the enemies of public tranquillity has disarranged, it has not destroyed us./12
Es erhellt hieraus aber auch, dass der Rekurs auf die Glorious Revolution und Lockes Legitimationsideologie um 1770 selbst
beim »oracle and interpreter of whiggery« politisch-funktionaler Art und eher implizit war - noch nicht aus seinem radikalen Potential (Naturrecht,
Widerstandsrecht) heraus explizit etwa revolutionär zugespitzt. Locke war »meist nur im Rahmen des Whig-Kanons als
selbstverständliche
Autorität präsent, »ohne daß man sich deswegen besonders intensiv mit seinem Werk auseinandergesetzt
hätte.«13 Es leuchtet ein,
dass auch
Burkes Gegenstrategie auf der Ebene praktischer Politik angesiedelt war: »Where bad men combine, the good must associate, else they will fall,
one by one, an unpitied sacrifice in a contemptible struggle«14 und mit ihnen die liberale Ordnung der Whig-Revolution. Der kriminellen Kabale
»for undermining all the foundations of our freedorn» gegenüber bedarf es einer standhaften »honest
combination«
unter der Whig-Parole »of
restoring the constitution to its original principles.«15 Der Erhalt des englischen Systems und der Weg seiner Garanten, der Whigs, zurück an
die Macht, können somit in eins gesetzt werden.
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