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Orientalismus, Eurozentrismus,
Rassismus: Herrschaftslegitimatorik in Weiß
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Neu-Erscheinung, Literaturtip: Attia, Iman (Hg.). Orient- und
Islambilder. Münster 2007
003 - Aktueller Sammelband zu deutschen Orient-und Islambildern:
Unter dem Arbeitstitel "Orientalismus und antimuslimischer Rassismus in Deutschland"
hat Iman Attia (Hg.) knapp 20 "interdisziplinäre Beiträge zu einem zeitgenössischen Phänomen mit langer Tradition"
zusammengestellt, die zwar von ausgewiesenen Fachleuten stammen, sich insgesamt
jedoch nicht an ein Fachpublikum, sondern an eine breite interessierte Öffentlichkeit
richten. Der Sammelband erscheint im Oktober 2007 und konzentriert sich auf den deutschen Beitrag zum
Orientalismus mit seiner antiislamischen Schlagseite. Er reagiert auf die
zunehmende Wahrnehmung von Diskriminierung und Verteufelung "der
Moslems" in Europa, die sich als unabweisbare Tatsachen in die dominanten
Zerrbilder weißer Leitkultur einmischen, in deren Diskursen Muslime als
politische Terroristen, antisemitische Kriegstreiber, patriarchale Mörder oder
sexistische Gewalttäter gehandelt werden.
Dazu Iman Attia im Wortlaut:
"Gesellschaftliche, politische und militärische Sanktionen ihnen gegenüber wurden (und werden noch) als Maßnahmen zur Verteidigung demokratischer und zivilisatorischer Errungenschaften eingeordnet. Verächtliche Äußerungen über Lebensweisen von Muslimen dienen der Selbstbestätigung als fortschrittlich und emanzipiert. Stimmen von Muslimen, die den Klischees widersprechen, werden gemeinhin als Ausnahmen ausgeklammert, Betroffene, die diese Bilder und Wertungen bestätigen, werden dagegen dankbar aufgegriffen. Und nun sollen Muslime (laut
Europäischer Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit EUMC) die neuen Opfer von Diskriminierung sein?
In akademischen Kreisen überraschen diese Meldungen nicht. Seit dem zweiten Golfkrieg Anfang der 80er Jahre warnen WissenschaftlerInnen vor der zunehmenden Diskriminierung von Muslimen und zeigen Konstruktionsprozesse und Bedeutungszusammenhänge des "Feindbildes Islam" auf. Ihre Arbeiten erscheinen von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt als Forschungsnotizen in kleinen Fachzeitschriften oder als Dissertationen in unbekannten Verlagen, während selbsternannte "Experten" weiterhin in Massenmedien zur Aufheizung des Klimas beitragen. Spätestens mit den kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre zwischen den USA (und Europa) gegen islamistische Terroristen (und Zivilbevölkerung) geraten allerdings zunehmend kritische und mahnende Stimmen an die interessierte Öffentlichkeit. In erster Linie decken sie Ungereimtheiten und wenig zivilisierte Methoden der westlichen Kriegsparteien auf. Zuweilen werden politische (v.a. ökonomische und machtgesteuerte) Argumente als Gründe für den Kampf gegen "den Islam" kritisch diskutiert. Darüber hinaus bemühen sich seit einiger Zeit verschiedene gesellschaftliche Akteure, vorurteilsgeladene Wertungen des Islam durch sachliche Informationen und interreligiöse Dialoge zu ersetzen. Sie werden jedoch nicht mit dem historisch gewachsenen und kulturell verankerten Bild über den Islam verknüpft, das diese Vorurteile hervorbringt. Häufig stehen deswegen die neuen Informationen unvermittelt neben den tradierten und können deren Wirkungsmacht nicht wesentlich schmälern. Ergebnisse aus der Rassismusforschung belegen, dass es wenig nützt, Vorurteile korrigieren zu wollen, solange die Interessen an ihrer Entstehung und Aufrechterhaltung nicht kritisch reflektiert werden. Im antimuslimischen Kontext geschieht dies bisher lediglich in hoch spezialisierten Kreisen, eine breite Auseinandersetzung mit westlichen Bildern über den Islam und ihre Verstrickung in politische, kulturelle, gesellschaftliche, religiöse und soziale Diskurse steht noch weitgehend aus.
Diese Lücke schließt der geplante Sammelband. Ergebnisse wissenschaftlicher Auseinandersetzungen verschiedener Disziplinen der letzten 20 Jahren werden einem breiten Publikum zugänglich gemacht. In allgemein verständlicher Form werden die historisch gewachsenen Bilder über "den Islam" (der zuweilen eher als "Orient" bezeichnet wurde) am Beispiel bekannter kultureller Zeugnisse analysiert. Dabei werden sowohl die historisch relevanten Kontexte als auch die aktuellen Bezüge herausgearbeitet. Neben der ethnisierenden Konstruktion eines Gegenbildes Orient bzw. Islam werden kritische und konstruktive Traditionslinien und neuere Bemühungen thematisiert."
Das verdienstvolle Projekt, ein Stück
Aufklärung im klassischen Sinn, wurde auch vom Betreiber dieser Website mit
einem Beitrag unterstützt und ist als ebenso kompetente wie praxiskompatibel
lesbare Einstiegslektüre zum Thema "Orientalismus" wärmstens zu
empfehlen. Es setzt der übermächtigen Definitions- und Desinformationsmacht
weißer Herrschaftsideologie und ihrem unhinterfragten chauvinistischen Konsens einen
ruhestörenden intellektuellen Einspruch entgegen, der populäre leitkulturelle
Scheinwahrheiten in ihrer Willkürlichkeit, Interessegeleitetheit und
Konstruiertheit sichtbar macht - und so auch einem diffusen Widerstandsreflex
Grundlagenwissen und Argumente für's Leben, Denken und Wirken im alltäglichen
Rassismus an die Hand geben mag. Ein inoffizieller Blick ins vorläufige
Inhaltsverzeichnis:
________Einführungen
Iman Attia: Orientalismus und antimuslimischer Rassismus im deutschsprachigen Raum
Nikita Dhawan/María do Mar Castro Varela: Orientalismus und postkoloniale Theorie
Reinhard Schulze: Orientalismus. Zum Diskurs zwischen Orient und Okzident
________Historische und geografische Lokalisierungen
Nina Berman: Historische Phasen orientalisierender Diskurse in Deutschland
Almut Höfert: Das Gesetz des Teufels und Europas Spiegel. Christlich-westeuropäische Repräsentationen des Islam im Mittelalter und der Frühen Neuzeit.
Jürgen Krämer: Orientalismus Macht Geschichte. Zum Beispiel die Entstehung des Orientaldespoten im Deutschland der Spätaufklärung aus dem Geiste europäischer Expansion in Indien
Sybille Bauriedl: Geopolitische Konstruktion eines Orients durch kartographische Visualisierungen - Traditionen der Geographie und Folgen
________Kulturelle Tradierungen
Natascha Ueckmann: Gebrochene Bilder: Die Schweizer Autorin Annemarie Schwarzenbach (1908-1942) im ›Orient‹
Margret Spohn: Türkenopern, Mozart und die Musik
Karin Rhein: ›Land des Lichtes oder der Finsternis‹. Der Maler Wilhelm Gentz und der Orient
Andreas Pflitsch: ›1001 Nacht‹ als europäische Literatur- und Kulturgeschichte
Verena Paulus: Das Bild des Orients im Kolportageroman des 19. Jahrhunderts am Beispiel von Julius Stindes ›Emma‹
Nina Berman: Karl May und der deutsche Kolonialismus
________Aktuelle Markierungen
Birgit Rommelspacher: Rassismus und gender bei Kelek und Topak
Rolf Cantzen: Darstellungen des Islam in den Medien
Stanislawa Paulus: ›Einblicke in fremde Welten‹. Orientalistische
Selbst/Fremdkonstruktionen in TV-Dokumentationen über Muslime in Deutschland
________Ausblick
Alexandra Karentzos: Das ›Andere‹ ausstellen. Orientalismen und
zeitgenössische Kunst
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Ahmadinejads Brief an Bush
Die bislang hier abrufbare Dokumentation
des Briefs vom Mai 2006 (aus: "muslimmarkt.de",
Website "zum Islam für deutschsprachige Gläubige"), anhand derer sich jede/r
selbständig Denkende auch selbst einen exemplarischen Eindruck von der
umfassenden Desinformationsleistung leitkultureller Feind- und Selbstbildnisse
verschaffen kann, ist inzwischen ins Archiv gewandert, wo er freilich weiterhin über diesen
Klick erreichbar bleibt.
Befreiungstheorien im Elchtest
Welches Modell sollten Sie kaufen? Der vormals als Nr. 001 hier abrufbare
"alaska"-Text, der zehn aktuelle Befreiungstheorien einer
harten und unbestechlichen Fahrprüfung unterzogen
hat, vom Crashtest bis zum Design, von der Regulationstheorie bis zur Triple
Oppression, befindet sich inzwischen ebenfalls im Archiv, wo er auch weiterhin über diesen
Klick erreichbar bleibt.